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Webwelt & Technik Abzocke im Web

Pasta und Brot können teuer zu stehen kommen

Wer im Internet Bilder von Speisen sucht, landet schnell auf der Seite von "Marions Kochbuch". Zahlreiche Betreiber von Amateurwebseiten und Blogs haben dort Fotos heruntergeladen – ohne zu zahlen. Bald darauf kamen dicke Rechnungen einer Anwaltskanzlei.
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Es wäre schön, sagt der Rechtsanwalt von „Marions Kochbuch“ gleich zu Beginn des Gesprächs, wenn die Medien auch mal die Seite der Urheber darstellen würden. In den Internetforen äußerten sich doch immer nur die Geschädigten. Kurze Pause. Nein. Die Schädiger! „Mein Mandant ist der Geschädigte.“ Ein Versprecher nur, aber doch ein schöner. Denn er berührt ungewollt den Kern der Sache: Wer ist eigentlich Täter und wer Opfer bei der Abmahnwelle, die seit Monaten in der deutschen Internetszene erregt diskutiert wird?

„Marions Kochbuch“ heißt die Internetseite, die seit Monaten zahlreiche Nutzer verärgert. Wer bei der Bildsuche von Google eine beliebige Speise als Suchbegriff eingibt, „Bockwurst“, „Brötchen“ oder „Sauerbraten“ etwa, findet unter den ersten Treffern fast immer Fotos von „Marions Kochbuch“. Das klingt familiär und harmlos. Doch wer sich das Foto kopiert und auf die eigene Webseite stellt, kann sich auf Ungemach gefasst machen. Zahlreiche Betreiber von Web-Tagebüchern („Blogs“) und anderen privaten Internetseiten haben das getan. Sie bekamen im Gegenzug Post von Anwälten, in denen ihnen drastische Rechnungen präsentiert werden. Es soll bereits zahlreiche solcher Fälle geben.

Zumeist wohl ohne Böses im Schilde zu führen, hatten die Internetsurfer unscheinbare Fotos aus dem Internetkochbuch kopiert und sollen dafür nun kräftig berappen: Lizenzforderungen, Anwaltskosten – mehrere Hundert Euro pro Foto. Der Verdacht lautet nun: Die Betreiber der Internetseite provozieren die Urheberrechtsverstöße, um daraus ein einträgliches Geschäft zu machen. Die Täter im Sinne des Urheberrechts sehen sich hingegen selbst als Opfer.

Ein Pastafoto kann teuer werden

Matthias Wagner zum Beispiel wurde ein Pastafoto zum Verhängnis. Der Redakteur eines Kulturmagazins betreibt seit zwei Jahren als Hobby einen Blog, in dem er alles mögliche aufschreibt, was er in seinem Wohnviertel, bei der Arbeit und überhaupt so erlebt. „Ich mache das nur zum Spaß, ohne kommerzielle Interessen“, sagt er.

Eines Tages dann schilderte Wagner unter der Überschrift „Man kann sich seine Verwandten nicht aussuchen“ eine handgreifliche Auseinandersetzung, die er beim Italiener um die Ecke mit angesehen hatte, und ahnte nicht, dass er deshalb selbst bald einigen Ärger bekommen sollte. Denn er illustrierte die Anekdote symbolisch mit einem Nudelgericht. „Ich weiß gar nicht mehr, wo ich das Bild her hatte – auf jeden Fall nicht direkt von ,Marions Kochbuch‘. Ich hatte nämlich schon mitbekommen, dass vor der Seite gewarnt wird.“

Aber ursprünglich stammte das Foto offenbar doch von dort – jedenfalls schneite Matthias Wagner irgendwann Post von der Hamburger Anwaltskanzlei Rotermund ins Haus, die den Betreiber von „Marions Kochbuch“ vertritt. Es war eine Abmahnung. Wagner soll für die Pasta 747,50 Euro zahlen.

„Ich rate meinen Mandanten, zumindest einen Teilbetrag zu zahlen“, sagt der Mönchengladbacher Rechtsanwalt Sascha Kremer. Er allein vertritt mehr als 20 „Kochbuch“-Opfer. Beziehungsweise -Täter. Denn dass der Bilderklau im Internet eine Urheberrechtsverletzung darstellt, ist laut Anwalt Kremer nicht zu bestreiten.

Vor Gericht kommen schnell mehrere tausend Euro zusammen

Wer es auf eine gerichtliche Klärung ankommen lässt, wie etwa ein 41-jähriger Betreiber eines Fußballfanforums, muss für das Foto von einem Glas Eistee inklusive Gerichtskosten dann schnell 3000 Euro zahlen. Obwohl das inkriminierte Erfrischungsgetränk nicht einmal vom Betreiber selbst, sondern von einem externen Nutzer an einen Kommentar auf der Internetseite angehängt wurde. „Gerade Betreibern nichtkommerzieller Internetangebote fehlt oft das Unrechtsbewusstsein und auch schlicht das Wissen darüber, in welchem Maße sie für die veröffentlichten Inhalte haftbar gemacht werden können“, sagt Kremer.

Unwissenheit, die auch von denen teuer bezahlt werden muss, die nach der Post von Marion gleich die Unterlassungserklärung unterschreiben. „520 Euro Lizenzforderungen, 500 Anwaltskosten der Gegenseite plus vielleicht noch mal 500 für den eigenen Anwalt – macht 1520 Euro. So sieht ein typischer Fall aus, wenn Sie sofort zahlen“, sagt Kremer. Wer gleich mehrere Bilder kopiert habe, zahle entsprechend mehr, erläutert der Anwalt.

Wird der Bilderklau bewußt einkalkuliert?

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So weit, so ärgerlich. Zumindest für die, die den Überweisungsträger ausfüllen müssen. Der eigentlich Geschädigte hingegen, „Kochbuch“-Betreiber Folkert K., wird für die Verletzung seines Urheberrechts auf Fotos von Brötchen, Würsten oder einem Klecks Senf mithilfe der Anwälte recht ordentlich entschädigt. „Schon bei 200 Fällen ergibt sich schnell eine Summe im sechsstelligen Bereich“, hat Kremer ausgerechnet. „Die Urheberrechtsverletzungen werden geradezu provoziert“, meint er.

Die Seite sei so gestaltet und verlinkt, dass sie bei der Google-Bildsuche möglichst weit oben erscheint. Ferner kritisiert er, dass die Bilder weder durch Wasserzeichen noch durch technische Vorkehrungen gegen Download gesichert seien, obwohl dies sehr einfach wäre. Nach Kremers Ansicht spricht viel dafür, dass spezialisierte Software verwendet wird, um das Netz automatisch nach Bildern aus „Marions Kochbuch“ zu durchsuchen. Wird der Bilderklau von den Betreibern etwa bewusst einkalkuliert?

Anwalt: Marions Kochbuch lebt von Google-Anzeigen

„Mein Mandant lebt davon, von Suchmaschinen gut gefunden zu werden. Das ist legitim – er verdient an den Google-Anzeigen“, hält Sebastian Trabhardt, Partner der Kanzlei Rotermund, dagegen. Neben ihm beschäftigen sich in der Kanzlei noch zwei weitere Rechtsanwälte mit „Marions Kochbuch“. Wie viele Fälle es mittlerweile sind, will Trabhardt nicht sagen.

Auf seiner Webseite sagt „Kochbuch“-Betreiber Folkert K. allerdings, dass er bereits bis zum Januar vergangenen Jahres 2925 Urheberrechtsverletzungen festgestellt habe. Und, so Trabhardt: „Leider kommt es noch immer zu unzähligen Rechtsverletzungen – es werden sogar immer mehr.“ Offenbar ein nimmer versiegender Quell, abzurechnen nach dem Rechtsanwaltsvergütungsgesetz. Doch mit Absicht provoziert, das betont Trabhardt, habe sein Mandant das illegale Runterladen nicht.

Blogger Matthias Wagner sieht das anders. „Angesichts Tausender Bilder, die ohne Zugangsbarrieren präsentiert werden und deren Verwendung in privaten Weblogs dann offenbar systematisch aufgespürt wird, kann man fast den Eindruck gewinnen, als handele es sich um eine pfiffige wie perfide Geschäftsidee, welche die derzeitige Gesetzeslage ausnutzt“, sagt Matthias Wagner, und bei den sorgfältig gewählten Worten ist spürbar, dass er schon mit Marions Anwälten zu tun hatte. Er habe sich übrigens entschieden zu zahlen – „aber nur 280 Euro“. Für einen Teller Nudeln.

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